Bild: Markus Werner ©

Eisschmelze

Nach 1200km Fahrt bin ich im Land der Katharer angekommen. Die Gletscher regnen gerade ab und machen Platz für den Frühling in mir.

Vier Camper-Tagesreisen von der Mitte Deutschlands entfernt treffe ich auf Wasser. Das Mittelmeer liegt noch im Winterschlaf und bei meiner Ankunft in Perpignan hatte es in der Nacht 9° Celsius. Es ist Anfang Mai. Die Dame an der Rezeption des Campingplatzes spricht von den Gletschern in den Bergen, die abgetaut waren und sich in heftigen Wolkenbrüchen über das Land zwischen Pyrenäen und Ozean abgeregnet hatten. In den klaren Blicken, die mir die Scheibenwischer des Campers auf die Umgebung gönnen, lese ich groß auf einer Straßentafel: „Sie sind im Land der Katharer„.

Ich erinnere mich an die Katharer, eine Glaubensströmung des mittelalterlichen Christentums, über die ich bei Wikipedia gelesen habe:

Im 11. Jahrhundert kam es in Europa zu einer Entfaltung der Geld- und Warenwirtschaft und zur Expansion der Städte. Adel und Klerus versuchten über Abgaben, Zehnten und Kredite sich anzupassen und Profite zu ziehen. Die Verlierer waren die Landbevölkerung und der niedere Adel und Klerus, aus deren Reihen sich in der Folge eine Gegenbewegung zur offiziellen Kirche – ähnlich den späteren Waldensern – rekrutierte. 1022 lassen sich in Orléans Wanderprediger nachweisen, die das Materielle als unrein zurückwiesen und die Sakramente der an die Geld- und Warenwirtschaft angepassten Kirche ablehnten. Stattdessen praktizierten sie Sündenvergebung durch Handauflegen.

Ein leichter Schauer läuft mir den Rücken hinunter. Trotzdem fühle ich mich willkommen. Es regnet Bäche und die untergehende Abendsonne ist nicht mehr zu sehen. Die Welt ist in ein Dunkel eingetaucht und wird nur von dem künstlichem Licht der Autoscheinwerfer erhellt, die sich mit deutlich reduzierter Geschwindikeit ihren Weg durch diese Waschküche bahnen. Die Katharer werden eine eigene Rolle während meines Aufenthalts in Südfrankreich spielen.

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Für den Moment atme ich auf und schaue den Behandlungstagen in Perpignan entgegen. Der Regen fühlt sich wie eine innere Reinigung an. Ich bin froh, eine Basis an einem Campingplatz zu haben. Ich habe die weite Strecke geschafft und bin erleichtert und stolz auf mich. Ich bin offen für das, was kommen mag und mein Verstand schließt die letzten Vorurteile über diese eigentümliche Behandlung in einem Plasmafeld in eine geistige Abstellkammer. Aus Deutschland habe ich vier Interferon-Spritzen mitgebracht, die jetzt im Kühlschrank des Campers ruhen und auf ihren Einsatz warten. Was meine Krankheitssymptome angeht, trage ich damit bestmöglichst Sorge. Es geht mir nicht um eine Gesundungs-Hau-Ruck-Aktion. Auch will ich kein Entweder-Oder provozieren und tödliche Risiken eingehen. Vielmehr suche ich nach einer körperlich-energetische Brücke und nach Informationen im Feld um meine Zellen.

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Vor den Wellen des Mittelmeers stehend überkommt mich ein Gefühl vom Ende der Welt. Vielleicht bin ich dabei, ein Kapitel in meinem Leben abzuschließen. Etwas scheint sein Ende zu suchen.