Datenspuren und künstliche Intelligenz
Der wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung für globale Umweltveränderung stellt in seinem Gutachten „Unsere gemeinsame digitale Zukunft“ von 2019 fest, dass die Digitalisierung schon jetzt eine ähnlich tiefgreifende Veränderung in der Gesellschaft bewirkt hat, wie die industrielle Revolution vor einem Jahrhundert. Während es in der Industrialisierung um das Ersetzen der menschlichen Muskelkraft durch Maschinen ging, fordern Computer heute unsere Kreativität und unser Potential zu denken heraus. Doch Datenträger und Computer kosten. Sie verschlingen eine Menge Energie und das wirkt sich negativ auf die Ökobilanz aus. In wissenschaftlichen Kreisen fragt man sich, wie man den transformatorischen Prozess mehr in Richtung Nachhaltigkeit lenken kann. Dabei tauchen vor allem ethische Fragen auf.
Wie sieht eine neue, globale Ethik – besonders auf dem Gebiet unseres Wissens, Denkens und unserer Kreativität aus?
Die Digitalisierung hat schon heute tiefgreifende Einschnitte in das menschliche Verhalten verursacht. Viele Alltagstätigkeiten sind schneller bewältigt. Überweisungen sind in Millisekunden beauftragt. Die Landkarte gibt es auf dem Smartphone – Navigator inklusive. Briefe werden so gut wie überflüssig. Ein Teil des sozialen Lebens verlagert sich ins Internet. Es gibt inzwischen keinen Bereich mehr, in dem die Digitalisierung nicht Einzug gehalten hat.
Die Menge an Daten, die täglich neu erzeugt und gespeichert wird, ist immens. Michael Kroker spricht in der Wirtschaftswoche bereits 2018 von 2,5 Trillionen Bytes, die täglich an Daten erzeugt werden. Das entspräche der Speicherkapazität von 36 Millionen iPads. Diese Menge an Informationen werden unter dem Schlagwort „Big Data“ gehandelt.
Dieses Land von Masseninformation und Massenspeicher ist ein großes Neuland. Unabhängig von Datenschutzgesetzen hinterlassen wir über Portale wie Facebook und Co Datenspuren im Internet. Durch Klicks und Likes werden Meinungen gebildet. Moocs – Massive open online courses (dt. offener Massen-Online-Kurs) erreichen theoretisch eine unbegrenzte Anzahl von Menschen gleichzeitig. Das Verhalten von Wählern wurde beim Wahlkampf von US-Präsident Trump über gezielt geschaltete Wahlwerbung auf Facebook beeinflusst. Eine Onlinestudie von ARD und ZDF gibt bekannt, dass wir im Durchschnitt 2,5 Stunden täglich im Internet verbringen. 1997 nutzten 4,1 Millionen Menschen ab 14 Jahren Zeit das Internet. 2017 sind es 62,4 Millionen Menschen (Zeit Online).
Ein weiteres positives Beispiel ist die Berechnung von Klimamodellen. Prof. Dr. Daniela Jakob vom Klima-Service-Zentrums-Deutschland erklärt auf der Pressekonferenz des WBGU, dass die Trainingsdatensätze für Wetterkarten vor noch ein paar Jahren bei einer Größe von 200-250km lagen. Heute besteht das Raster aus Datensätzen von 1km Fläche. Besonders in der Frage des Klimawandels ist dieser Aspekt der Datenbeschaffung von Wichtigkeit. Aus den Datenpools werden Algorithmen gebildet, die Aufschluss über mögliche Umwelt-Szenarien geben. Dabei darf allerdings auch nicht aus dem Auge verloren werden, dass jedes Bit kostet. Software muss entwickelt und angepasst werden. Künstliche Intelligenz und Blockchain-Technologie sind aktuelle Entwicklungen. Die Machbarkeit steht der Frage nach intelligenter Nutzung gegenüber. Eine Maschine können wir ausschalten. Doch tun wir das nicht mehr. Die Rechenzentren, die uns die GIGA-Datenströme ermöglichen, verschlingen Energie. Auch sie laufen rund um die Uhr.
Der Co2-Ausstroß aller Serverfarmen ist höher als der aller welweiten Fluggesellschaften.
Reinhard Ploss gegenüber RTL, Vorstandsvorsitzender des Chipherstellers Infenion
Wofür brauchen wir also all diese Informationen, die täglich auf uns einprasseln? Wie in vielen anderen Bereichen können wir damit verantwortungslos oder bewusst umgehen. Doch ganz so leicht ist es nicht. Der menschliche Trieb der Zugehörigkeit kann dazu führen, dass der Einzelne einfach nur mithalten will mit der Entwicklung. Werbung verlagert sich von den klassichen Medien wie Zeitung, Radio und Fernsehen auf Internetseiten. Der Nutzer wird darauf hingewiesen, Werbeblocker zu deaktivieren, um Inhalte lesen zu können.
Wir feiern unsere Entwicklung als Erfolg. Doch sind wir uns auch der sozialen Verwerfungen bewusst, die diese Entwicklung mit sich bringt?
Immer noch befassen sich wenige ältere Menschen mit dem Internet. Sie schreiben keine Emails und verwenden keine Browser, um Informationen aus dem Internet abzurufen. Stattdessen zählt hier immer noch die gute, alte Apothekenrundschau und die Nachrichten der öffentlich, rechtlichen Fernsehanstalten. Währenddessen wachsen Kleinkinder bereits mit dem Smartphone auf und schieben Dateninhalten über den kleinen Bildschirm in ihrer Hand. Durch Powerpoint und andere Multimedia-Präsentationen nehmen Studierende inzwischen ein Vielfaches an Information auf verglichen mit Studenten des letzten Jahrhunderts, deren Wissen noch über Tafel und Overhead-Folien vermittelt wurde.
Bürokratische Prozesse verlangen kein Auftreten von Menschen mehr. Onlinebanking macht den Gang zur Bank unnötig. Geschäftstreffen finden online statt, per Skype oder Zoom. Whatsapp und Facebook gaukeln uns Freunde und Verbindung vor. „Likes“ und „Dislikes“ geben uns das Gefühl, an der Welt teil zu haben.
Dient uns die Technik noch. Oder sind wir bereits abhängig von der Kommunikation über IP und Passwort geworden und haben uns lautlos versklavt.
Pflege und Haushalt lassen sich nicht von Maschinen bewerkstelligen – noch nicht. Die letzten Jahrzehnte sind wir auf dem Gebiet der Robotik in den Nanobereich vorgedrungen und planen inzwischen Operationen in Blutgefäßen. Wir stellen gentechnisch Medikamente her und patentieren Substanzen aus dem Garten der Natur. Inzwischen ist das mechanistische Weltbild, das sich zu Lebzeiten von Newton entwickelte, in alle Lebensbereiche vorgedrungen. Selbst in der Medizin tauschen wir Organe und Knochen wie die Bauteile eines Autos in der Werkstatt. Organe sollen künstlich hergestellt werden können. Vielleicht können wir bald mit Roboteraugen sehen oder wieder hören, weil es uns die Technik erlaubt. Gibt es in Zukunft eine Mischgattung aus Mensch und Maschine? Ist die Maschine der Natur am Ende überlegen?
Schon sind wir dabei, eine weitere Grenze menschlicher Vorstellungskraft zu überschreiten. Wir sehen uns Daten an, fassen diese in Clouds zusammen und experimentieren mit künstlicher Intelligenz. Es geht nicht mehr um die Hardware des Lebens. Nein – uns interessieren jetzt Wahrnehmung und Bewusstsein auf eine ganz neue Art. Wir dringen in die Bereiche der Software vor. Die Quantenphysik hat dafür den Boden bereitet. Ein Teilchen kann als Partikel oder als Welle gesehen werden und kann sich an zwei Orten gleichzeitig aufhalten. Plötzlich wird der Zeitpunkt des Beobachtens wichtig. Je nachdem, wie wir hinschauen, verhält sich ein Elektron nach Alltagserfahrung oder nach den Gesetzen der Quantenphysik.
Das Weltwissen steigt exponential. Wir stoßen in die Informationsstränge der DNA vor und generieren künstlich Erbsequenzen. Mit dem CRISPR/CAS9-Verfahren lassen sich DNA-Ketten molekülgenau austauschen.
Die Machbarkeit steht dem Nutzen gegenüber. Am Ende geht es darum, zu evaluieren, was gebraucht wird. Möglicherweise landen wir bei einer viel einfacheren Fragestellung auch in Anbetracht von Nachhaltigkeit und Klimawandel.
Werden wir dem Leben mit unserer Entwicklung gerecht?
In den Publikumsfragen an die Wissenschaftler wurde Aktion gefordert. Große Datenkraken wie Google oder Facebook wurden kritisiert. Das Panel hielt sich zurück. Aufgabe der Wissenschaft sei die Information. Eine größere, interdisziplinäre Vernetzung der einzelnen Disziplinen wurde in den Raum gestellt und gewünscht. Aktionen und ethische Entscheidungen müssen von der Politik kommen.
Die Pressekonferenz des WBGU gibt es online unter: https://www.wbgu.de/de/veranstaltungen/veranstaltung/forschungskonferenz2019.