Bild: Markus Werner ©

Nicht zurückblicken

Flieg, kleiner Vogel! Flieg! Und schau nicht zurück!“

Als ich Mitte Zwanzig war, hatte mir eine Nachbarin diesen Satz mitgegeben. Sie war damals um die 75 Jahre alt und verkaufte auch dem Wochenmarkt Eier. Sie war eine einfache, aber weise Frau. Ich vergaß ihre Worte.

Heute erinnere ich mich. 6 Jahre lang habe ich mich inzwischen mit einer Blutkrebserkrankung auseinandergesetzt. Ich habe eine Behandlungspause und spüre in meine Lebenssituation.

Wie lange quäle ich mich mit Vergangenem? Wie lange noch trauere ich Dingen nach, die verloren sind? Wie lange will ich noch auf diesen Scherbenhaufen blicken, der einst ein erfülltes und gewünschtes Leben von mir war?

Ich spüre wie ich in der Trauer stecke. Ich will die Zeit anhalten und Dinge festhalten.

Das Leben geht weiter – unerbitterlich!

Ich frage mich, ob ich mich entschieden habe für den einen Weg oder den Anderen?
Ich frage mich, ob ich den Aufprall der Diagnose meiner Erkrankung abfangen, abfedern wollte?
Will ich die orkanartigen Wellen brechen, die über mich hinweg schwappen?
Widersetze ich mich dem Gang der Dinge?

Das Leben geht weiter – anders!

Ich bin durch ein ganzes Netzwerk von Hilfssystemen geschwemmt worden. Ich habe nicht nur eine Diagnose in meiner Krankenakte. Brav bin ich den gut gemeinten Ratschlägen der Ärzte, der Sozialarbeiter und der Freunde gefolgt. Eine Lösung ist immer noch nicht in Sicht. Aber ein Gefühl „Aus dem Gröbsten heraus zu sein“ wird spürbar.

Das Leben geht weiter – bei den anderen!

Langsam, sehr langsam gewinne ich wieder Boden zurück. Ich liege im Sand und atme schwer. Ich bin noch am Leben. Jetzt geht es darum, wieder auf die Beine zu kommen, weiterzugehen. Vor mir liegt Neuland.

Ich gehe weiter und schaue nicht zurück.