Krisenstimmung
… im Westen
Die Liste der Krisen in unserer Welt kann mühelos verlängert werden. Wir sehen sie täglich in unseren Nachrichten. Naturkatastrophen, Kriege und Krankheiten sind nichts Neues im Laufe der Menschheitsgeschichte. Allerdings scheinen wir uns statistisch einer Situation zu nähern, die zumindest die kommenden Generationen vor enorme Herausforderungen stellen wird, wenn die Gattung Mensch auf dem Planeten Erde überleben will. Wir befinden uns mitten im sechsten großen Massenaussterben und in Zeitschriften wie der National Geographic wird diskutiert, ob die Gattung der Menschheit überleben wird. Betrachtet man nicht nur die Wirbeltiere, so stellen sich die Zahlen sogar noch drastischer da und das Artensterben von Insekten und Schnecken alarmiert zusätzlich. Inzwischen hat der Klimawandel auch die Industrienationen erreicht. Seine Auswirkungen überrollen in Form von Flutwellen und extremen Hitzeperioden ganze Landstriche. Johan Rockström hat schon vor 10 Jahren ein wissenschaftlich anerkanntes Werkzeug entwickelt, den Klimawandel und die Bedrohung der Stabilität unserer Umwelt zu messen und ihr zu begegnen. Seitdem entfernen wir uns Tag für Tag weiter von Kriterien, die unsere Biosphäre in einem gesunden Gleichgewicht atmen lassen.
Wir haben die Schwelle in ein neues Zeitalter, das andere Forderungen an unser Kollektiv stellt, schon seit der Jahrtausendwende überschritten. Die rasant steigende Bevölkerungszahl im Zusammenhang mit dem Einfluss unseres Wachstumssystems auf die Biosphäre alarmieren. Aufgrund unserer Einflusses auf das gesamte Leben auf dem Planeten Erde haben wir diesem, unserem Zeitalter, einen Name gegeben: das Anthropozän – das Zeitalter, in dem der Mensch die Biosphäre und das Leben auf dem Planeten maßgeblich mitgestaltet. Wir sind ungewollt zu Hauptakteuren entscheidender Veränderungsprozesse auf dem Planeten geworden. Da wir keine natürlichen Feinde haben, die uns wie z.B. in der Tierwelt regulieren könnten, sind wir aufgefordert selbst nach Lösungen zu suchen. Etwas ungelenk gehen wir an diese neue Aufgabe heran – verständlicherweise. Denn diese, unsere Rolle als Gattung, ist neu.
Johan Rockström ist inzwischen geschockt über das Fortschreiten des Klimawandels und lädt uns ein, endlich die Rolle der Stewards für den gesamten Planeten – wie er sie nennt – zu übernehmen.
Klar ist, dass sich das Mensch-Sein auf der Erde verändert hat. Wir werden neue Denkmodelle und eine neue Weltsicht brauchen, die uns angemessen in dieser Welt existieren und handeln lassen. Rockström spricht von einem sicheren Korridor für die gesamte Menschheit.
In der Biologie beschreibt die Populationsdynamik, wie eine Spezies an ihre natürlichen Kapazitätsgrenzen wächst. In diesem Moment beginnt sich die Bevölkerungszahl durch einen Anstieg der Sterberate wieder zu reduzieren. Nach einem Beitrag von Claudia Ehrenstein in der WELT wird das Maximum der Weltbevölkerung für das Jahr 2070 prognostiziert. Bis dahin müssen wir uns an immer wieder stark veränderte Umweltbedingungen anpassen müssen.
Von Bakterien weiß man, dass sie sich schnell anpassen. Eine besondere Anpassungsstrategie wurde von Wissenschaftlern aus Jena bei Experimenten mit Pseudomonas-Stämmen beobachtet. Diese Bakterien lernten in wenigen Generationen mit zwei vollkommen unterschiedlichen Lebensumständen gleichzeitig klar zu kommen und setzten sich mit diesem „Bet-hedging“ Genotyp in der Population durch. Auch beim Menschen war die Gattung des Homo Sapiens anderen Artverwandten wie dem Homo Erectus und dem Homo neanderthalensis überlegen und sicherte unser Überleben. Er fand sehr wahrscheinlich heraus, wie man auch in Gebirgsregionen überleben konnte.
Die Bibliothek der wissenschaftlichen Erkenntnisse nimmt exponentiell zu. Liest man sich in weitere Forschungsergebnisse unterschiedlichster Wissensgebiete ein, wird deutlich, dass wir uns in einer sehr komplexen Situation mit vielen, sich gegenseitig beeinflussender Variablen befinden. Schnell taucht die Frage auf, ob wir allein mit wissenschaftlichen Methoden die gesamte Tragweite der Herausforderungen, die menschliches Leben auf der Erde in Zukunft haben wird, ermessen können. Lassen sich die vielen kleinen wissenschaftlichen Puzzle-Teilchen zu einem großen Bild zusammenfügen? Brauchen wir dazu die AI – die künstlichen Intelligenz? Es scheint, dass der Begriff der Nachhaltigkeit in unseren Diskussionen sowie die Bemühung eines Wandelprozesses in eine nachhaltige Zukunft mehr an Gewicht gewinnen sollte. Was bedeutet in diesen Zusammenhängen Mensch-Sein heute? Und wie kann der Mensch endlich in ein Zeitalter der Co-Kreation eintreten, in eine Rolle des MITeinanders.
QUOVADIS?MENSCH – ist die Suche nach Antworten auf die drängenden Fragen der Zeit …
Betrachtet man die Reaktionen auf die Flutkatastrophen von 2021 in mehreren Teilen Deutschlands oder die weltweite Angst bis Panik vor den Auswirkungen des Corona-Sars-Cov2 Virus, dann starren wir gefühlt in das Antlitz einer Ohnmacht. All unser Wissen, unsere Berechnungen und unsere Computersimulationen schützen uns nicht vor Viren oder Naturkatastrophen. Letztere sind dabei, auch in unserer westlichen Hemisphäre immer wahrscheinlicher zu werden. Augenscheinlich haben wir die gefühlte Sicherheit und die scheinbare Kontrolle über unsere Umwelt längst verloren.
Wir leben in einer Blase von Vorstellungen. Wachstum ist das Wichtigste. Es muss vorwärts gehen in eine Zukunft, die wir nicht kennen und maximal erahnen. Wir haben die Vorzeichen und die Wissenschaft. Doch scheint es mir, dass wir als westliche Zivilisation wieder einmal auf einem schnellen Dampfer sitzen, der wie 1912 auf einen Eisberg zusteuert. Diesmal werden wir nicht von der Titanic sprechen. Das Boot, auf dem wir gemeinsam als Menschheit sitzen ist grösser. Der Eisberg ist wuchtiger. Gut, dass unsere Art zu denken und zu leben nicht die Einzige auf der Erde ist.